Recht – Redlichkeit – Verantwortung

Festschrift für Prof. Dr. Volker Beuthien Beitrag von Dr. Peter Hanker, Vorstandssprecher Volksbank Mittelhessen eG

„Wozu noch Genossenschaften?“ stellt Professor Dr. Volker Beuthien in einer seiner viel beachteten Schriften zum Genossenschaftswesen zur Diskussion. Dabei bezieht er sich nicht nur, aber auch auf Kredit genossenschaften. Für die Gremien mancher Volksbanken und Raiffeisenbanken mag diese Frage provokant anmuten. Das ist auch gut so. Denn was provoziert, findet Aufmerksamkeit.

Ihre Daseinsberechtigung ziehen Unternehmen üblicherweise aus ihrem Unternehmenszweck. Wird dieser zu wenig beachtet oder gar ignoriert, läuft etwas verkehrt. Für die Mitglieder der ersten Genossenschaften war dieser Zweck – die wirtschaftliche und außerwirtschaftliche Förderung im Sinne der Hilfe zur Selbsthilfe – sogar oft existenzentscheidend. Durch den gemeinschaft lichen Geschäftsbetrieb konnten die Handwerker, Bauern und Klein unter nehmer den Umbruch zur Industrie gesellschaft meistern und ihr Auskommen sichern. Die Kreditgenossenschaften waren meist die einzige Anlaufstelle, um ein Darlehen zu fairen Konditionen zu bekommen. Von Beginn erfüllten die Mitglieder gleichzeitig die Funktionen Kapitalgeber, Entscheidungsträger und Leistungsnehmer – sie waren selbst die Genossenschaft. So ent standen Kontakte und Bindungen zwischen Gleichgesinnten, die über rein materielle Aspekte hinausgingen. Mit anderen Worten: Es ging um mehr als nur um Geld.


Heute – rund 150 Jahre später – stellt sich die Situation anders dar. Ideelle Bindungen sind insbesondere bei jüngeren Genossenschaftsmitgliedern kaum mehr anzutreffen. Wobei sich am Unternehmenszweck nichts Grundsätzliches verändert hat: „den Erwerb oder die Wirtschaft ihrer Mitglieder oder deren soziale oder kulturelle Belange durch gemeinsamen Geschäftsbetrieb zu fördern“, definiert der erste Paragraph des Genossenschaftsgesetzes. Dementsprechend geht es nach wie vor um mehr als nur um Geld.

Leider wird es gerade von genossenschaftlichen Kredit instituten manchmal vernachlässigt, dieses Mehr für die Mitglieder spürbar und erlebbar zu machen. Mit der Folge, dass die Genossenschafts bank unweigerlich ihre Konturen verwischt. Das jedoch widerspricht nicht nur der ursprünglichen Idee, sondern verschenkt auch die Wett bewerbs vorteile, die der Unternehmensform innewohnen.

Kompetente und weitsichtige Vordenker wie Prof. Dr. Volker Beuthien, die Leidenschaft für die Genossenschaftsbanken und Realitätssinn in Einklang bringen, mahnen zum Umdenken und setzen wegweisende Impulse. Und sie geben da Orientierungshilfe, wo die Balance zwischen Tradition und Moderne aus dem Gleichgewicht zu geraten droht, weil die Unterscheidung zwischen vorübergehendem Trend und richtungweisender Innovation immer schwieriger wird.

Dass das Internet zu Letzterem zählt, steht außer Frage. Wie kein anderes Medium revolutionierte es die Kommunikationsgewohnheiten von Menschen und Unternehmen. Damit wurden Entwicklungen angestoßen, die sich aufgrund unterschiedlicher Perspektiven einer einheitlichen Bewertung entziehen. Wie auch immer diese Veränderungen individuell empfunden werden: Letztlich tangieren sie jedes Unternehmen, ob gewollt oder ungewollt.

Beispiel Konsumverhalten: Die Geiz-ist-geil-Mentalität wurde durch das World-Wide-Web enorm begünstigt, wenn nicht sogar erst ermöglicht. Es öffnet den Schnäppchenjägern Tor und Tür und führt sie direkt per Mausklick zum billigsten Anbieter von Produkten oder Dienstleistungen. Der kleinste gemeinsame Nenner in diesem Wettbewerb ist das, was sich anhand konkreter Zahlen ablesen und somit vergleichen lässt: der Verkaufspreis bzw. die Konditionen. Schwierig für Genossenschaftsbanken, weil deren Prioritäten vielschichtiger sind. Offenkundiges Zeichen hierfür sind die Geschäftsstellen: Sie verursachen zwar intern hohe Kosten, erlauben dafür aber auch räumliche und persönliche Kundennähe. Sich darauf zu verlassen, dass die damit einher gehenden Vorteile von jedem gewürdigt werden, wäre allerdings sehr naiv, wenn nicht sogar grob fahrlässig.

Keine Volksbank oder Raiffeisenbank darf erwarten, als außer gewöhnliche Bank wahrgenommen zu werden, wenn sie sich nicht als solche positioniert: Wer sich ohne Unterscheidungsmerkmal in die Konkurrenz einreiht, muss sich an dieser messen lassen – ohne Wenn und Aber. Allerdings wird es auf Dauer kaum gelingen, die Preispolitik der Wettbewerber zu imitieren. Was auch getan wird, um für jedes Produkt zu jeder Zeit die besten Konditionen zu bieten, wird letztlich verpuffen: Eine Kreditgenossenschaft kann in diesem Wettlauf auf Dauer nicht mithalten, wird nie als Billiganbieter punkten können. Zudem würden solche Kraftakte die genossenschaft lichen Prinzipien Hilfe zur Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung zwangsläufig in den Hintergrund drängen.

Der Wirkungskreis einer Volksbank oder Raiffeisenbank erstreckt sich auf ein überschaubares Gebiet, auf die Region, in der ihre Mitglieder leben und arbeiten. Diese sind gleichzeitig Teilhaber und Kunde – eine Besonderheit, die es in dieser Form in der Bankenlandschaft nur bei Kreditgenossenschaften gibt. Die Vorstände sind angehalten, bei allen Entscheidungen und Maßnahmen beide Sichtweisen zu berücksichtigen. Nur wenn die Bank profitabel arbeitet, kann sie ihrem Förderauftrag gerecht werden und gleichzeitig wettbewerbsfähige Leistungen anbieten. Die Balance muss mit Know-how und Fingerspitzengefühl immer wieder neu ausgelotet werden. Schlägt das Pendel zu stark in die eine oder andere Richtung aus, werden sich die Vorstände persönlich vor ihren Mitgliedern rechtfertigen müssen.

Rechenschaftspflichtig sind die Manager international agierender Finanzinstitute auch. Ob an ihre Funktion eine ethische Verantwortung gekoppelt bzw. eine solche erwartet werden kann, ist ein regelmäßig wiederkehrender Streitpunkt öffentlicher Diskussionen. Die europäischen Corporate Governance Richtlinien sind hier zwar ein Schritt in die richtige Richtung – eine Garantie für entsprechendes Handeln sind sie nicht.

Schon die Bewertung ihrer unternehmerischer Verantwortung ist bei global agierenden Konzernen nicht ganz einfach. Die Bezugspunkte bleiben häufig abstrakt, falls sie überhaupt klar ausgemacht werden können. So sind börsennotierte Unternehmen ihren Aktionären verpflichtet, tragen aber auch Verantwortung für ihre Mitarbeiter.

Nun laufen die Interessen der beiden Gruppen manchmal konträr. Ein Beispiel ist die Maßnahme Personalabbau zugunsten einer höheren Rendite: Die Aktionäre freut´s, die Mitarbeiter nicht – aber diese wie jene sind weit weg. Und damit anonym für die Entscheidungsträger in den Führungsetagen. Das birgt die Gefahr, dass sich deren Wahrnehmung von der Realität entfernt. Wenn sich jedoch die Konsequenzen nur in Zahlen und nicht in Gesichtern aus drücken, wird das Gut bzw. die Bürde Verantwortung abstrakt. Und leichter zu tragen.

Anders bei Genossenschaftsbanken, die durch ihren regionalen Bezug und ihr Mitgliederprinzip eine Sonderstellung innehaben. Ihre Verantwortung ist überprüfbar und damit zwangsläufig konkret. Fernab jeder Sozialromantik setzen sie ein sozial- und gemeinschaftsorientiertes Gegengewicht zu reinem Profitstreben, das seinen eigenen Gesetzen folgt und sich – lange Zeit im Einvernehmen mit der Politik und der Gesellschaft – sonstigen Maßstäben entzieht.

Spätestens mit der Finanzmarktkrise im Herbst 2008 hat sich die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit krass gewandelt. Die weltweiten Turbulenzen hatten sehr deutlich vor Augen geführt, dass mit der Verflechtung der internationalen Kapitalströme unkalkulierbare Domino-Effekte nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich, wenn nicht sogar unausweichlich sind. Zumal die moderne Kommunikationstechnik das Bankwesenals solches völlig umgestaltet und ganz neue Möglichkeiten eröffnet hat.

Heute wissen wir, dass hierbei manches aus den Fugen geraten ist. Allerdings nicht nur bei den sogenannten Finanzeliten, sondern auch bei deren Kunden. Es gibt zu denken, dass diejenigen, die die höchsten Renditen erwartet, wenn nicht sogar gefordert hatten, den leichtfertigen Umgang mit Risiken später empört beschimpften. Verkehrte Welt? Wie auch immer. Wir haben keine andere. Dies entlässt allerdings niemanden, erst recht keinen Bank manager aus seiner Verantwortung. Im Gegenteil.

In der Presseerklärung zum „Gesetz zur Stabilisierung der Finanzmärkte“ war viel von Vertrauen die Rede: „Vertrauen zwischen den Banken, Vertrauen in der Wirtschaft, Vertrauen der Bürger“, beschwor Angela Merkel im Oktober 2008, wohlwissend, dass Vertrauen nicht gesetzlich diktiert werden kann. Rechtliche Vorgaben stoßen an ihre Grenzen, wenn emotionale Faktoren ausschlaggebend werden. Sie können jedoch die Funktion eines Wegweisers übernehmen.

Bei Genossenschaften gibt das Gesetz die Richtung – sprich den Unternehmens zweck, also die Förderung der Mitglieder durch gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb – eindeutig vor. Während und nach der Finanzmarktkrise gewann dieser Aspekt zusätzliche Relevanz. Damals wurde mit fortschreitender Bedrohung aus „Geld regiert die Welt“ vielfach „Geld verdirbt die Welt“. Beides geht am Kern der Sache vorbei. Vielmehr erfüllt Geld dann einen guten Sinn, wenn es nicht zum Selbstzweck mutiert, sondern nachhaltige Werte für die Wirtschaft und die Menschen schafft. Nicht nur auf dem Papier, sondern real.

Dieser Sichtweise haben sich – zumindest vorübergehend – fast alle Politiker und Gesellschaftsgruppen angeschlossen. Betrachtet man die Unterschiede zwischen den Bankengruppen, so haben gerade die Kreditgenossenschaften mit ihrer regionalen Ausrichtung und ihrem Mitgliederprinzip das perfekte Geschäftsmodell. Ihre Prinzipien Hilfe zur Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung sind aktueller denn je.

Die Antwort auf die Frage, „Wozu noch Genossenschaften?“, bleibt vor diesem Hintergrund nicht vage, sondern wird klar und deutlich. Sie erfüllen wichtige soziale und wirtschaftliche Aufgaben für ihre Mitglieder und damit für die Region. Vorausgesetzt, die Volksbank bzw. Raiffeisenbank besinnt sich auf das, was sie stark und einzigartig macht. Dass sich jeder Aufwand hierfür lohnt, belegt nicht zuletzt die von Prof. Dr. Beuthien initiierte Studie „Mitglieder-Fördermanagement in Genossen schaftsbanken“. Die Ergebnisse belegen, dass sich eine diesbezügliche Strategie harmonisch und nahtlos in die Geschäftspolitik eingliedern lässt. Denn Geld und Kapital sind in einer Genossenschaft nicht Sinn und Zweck, sondern Mittel zum Zweck.

Ein weiterer Aspekt verdient hier Beachtung. Die Mitglieder haben ein gesetzlich verankertes Recht auf Förderung, darüber hinaus aber auch die Pflicht, ihren Anteil zum Gelingen des Geschäftsmodells Genossenschaft beizutragen. Abgesehen von der Kapitaleinlage und der demokratischen Mitbestimmung über die General- bzw. Vertretersammlung kommen hier sogenannte weiche Faktoren zum Tragen, zum Beispiel Verantwortungsgefühl und Loyalität.

Für überzeugte Mitglieder ist es „Ehrensache“, sämtliche finanziellen Angelegenheiten mit ihrer Bank zu erledigen, selbst wenn der Wettbewerb hier und da bessere Konditionen bietet. Aber es gibt auch solche, die alle, dem Mitgliederstatus innewohnenden Vorteile in Anspruch nehmen und ansonsten nach dem Prinzip verfahren: Wo bekomme ich am meisten, wo zahle ich am wenigsten?

Hier liegt es in der Verantwortung der Genossenschaftsbank, einen Rahmen zu schaffen, in dem Vertrauen und Loyalität wachsen können: durch eine transparente Geschäftspolitik, konsequente Mitgliederförderung, wett bewerbsfähige Produkte, aber ganz besonders durch glaubwürdige Information und ehrliche Kommunikation auf Augenhöhe – zwischen Partnern, die sich einem gemeinsamen Ziel verpflichtet fühlen.

Diesem dienen letztlich auch die Erträge, die die Volksbank oder Raiffeisenbank mit Nichtmitglieder-Kunden erwirtschaftet. Wobei eine klare Unterscheidung zwischen Mitgliedern und Nichtmitglieder-Kunden gewahrt bleiben muss: Nur so kann die Kreditgenossenschaft ihren gesetzlichen Förderauftrag erfüllen und ihren Teilhabern die Wertschätzung zukommen lassen, die über eine reine Bank-Kunde-Beziehung hinausgeht.

Für jede Genossenschaft wird es sich langfristig auszahlen, die mit der Rechtsform verknüpften Besonderheiten im Rahmen des immer wieder aufs Neue von Professor Dr. Beuthien kommentierten Genossenschaftsrechts zeitgemäß zu interpretieren und zu kultivieren. Dafür spricht einiges: die Erfahrungen der vergangenen 150 Jahre, die Erkenntnisse aus der Finanzmarktkrise 2008 und nicht zuletzt die Erwartungen an eine zukunftstaug liche Wirtschaftsform, die sich im globalen Markt an den Bedürfnissen der Menschen vor Ort orientiert und dabei die Werte Eigenverantwortung und soziale Verantwortung harmonisch ausbalanciert

Erschienen am 10.11.2009