Kundenzentriertes Multikanal-Banking

Vertriebswege

Die Volksbank Mittelhessen entwickelt sich sukzessive zu einer kundenzentrierten Multikanal-Bank. Die perfekte Vernetzung aller Kanäle ist eine Mammutaufgabe, die alle Bereiche der Bank tangiert. Sie wird über den Erfolg oder Misserfolg des Angebots entscheiden.

Peter Hanker

Revolution! Die Filiale ist tot. Ein historischer Umbruch. Alles wird anders! Diese polarisierenden Formulierungen liest der geneigte Bankmanager in Abhandlungen über den Bankvertrieb von morgen. Und in der Tat, vor zwanzig Jahren war das Grundverständnis von Bankvertrieb noch ein gänzlich anderes. Doch das gilt genauso für den Einzelhandel, die Musikindustrie, Telekommunikationsdienstleister oder Bäckereien. Branchen entwickeln sich weiter, alte Geschäfts- und Vertriebsmodelle versagen, andere wiederum funktionieren trotz neuer Rahmenbedingungen. Für Endzeitstimmung gibt es also keinen Anlass.

Konsequente Neuorientierung

Banken im Allgemeinen und Volksbanken und Raiffeisenbanken im Besonderen müssen sich auf ein deutlich geändertes Kundenverhalten einstellen. An einer konsequenten Multikanal-Strategie führt kein Weg vorbei. Dabei ist die Filiale weiter ein wesentlicher Bestandteil. Doch sie ist nicht mehr der zentrale Dreh- und Angelpunkt der gesamten Kunde-Bank-Beziehung, sondern ein Vertriebsweg im orchestrierten Einsatz aller Kanäle. Die Volksbank Mittelhessen entwickelt sich sukzessive zu einer kundenzentrierten Multikanal-Bank. Im Zentrum aller Überlegungen stehen dabei allein die Bedürfnisse des Kunden – und nicht etwa die der Bank. Mit einer Bilanzsumme von 6,5 Milliarden Euro gehört die Volksbank Mittelhessen zu den größten Kreditgenossenschaften in ganz Deutschland. Getragen wird die Bank von 187.856 Mitgliedern. 1.400 Mitarbeiter betreuen in 96 Filialen 340.481 Kunden. Darüber hinaus stehen den Kunden im Geschäftsgebiet 58 Selbstbedienungsstandorte sowie 192 Geldautomaten zur Verfügung.

Die Präsenz in der Fläche wird auch künftig wichtiger Teil der Kundenbeziehungen sein. Denn nach wie vor wünscht sich die Mehrheit der Kunden eine qualifizierte Beratung. Diese Beratung kann, muss aber nicht persönlich in der Filiale erfolgen, sondern wird über unterschiedliche Kanäle eingefordert. Daher hat sich die Volksbank Mittelhessen vor etwa zwei Jahren entschieden, die Vertriebsstrategie der Bank konsequent in Richtung Multikanal weiterzuentwickeln. Denn gerade das Internet mit seinen mobilen Anwendungen, dem elektronischen Handel und sozialen Netzwerken hat sich innerhalb weniger Jahre zu einem echten Massenphänomen entwickelt. Kaum ein anderes Medium nach Gutenbergs Erfindung hat das Verhalten der Konsumenten und die Märkte so grundlegend, so nachhaltig und gleichzeitig so immens schnell verändert wie das Internet. Man denke nur an die Veränderungen durch den Siegeszug des E-Commerce. Alle Finanzdienstleistungen, das quasi ausgestorbene Sparbuch ausgenommen, sind abstrakte, nicht physische Produkte. Eine sinnliche Wahrnehmung ist nicht möglich und auch gar nicht notwendig. Aufgrund dieser Eigenschaft eignen sie sich ganz hervorragend für den digitalen Vertrieb.

Werbung für das Multi-Kanal-Rubellos der Volksbank Mittelhessen

Kanal der Wahl nutzen

Für die Entscheider der Volksbank Mittelhessen stellte sich zunächst die Frage der konkreten strategischen Positionierung. Die Unternehmensführung der Primärbank favorisiert eine Ausrichtung der Bank als regionale, körperlich und medial erlebbare Multikanal-Bank mit einem besonderen Leistungsversprechen an die Mitglieder und Kunden. Vom Modell einer eigens hierfür zu gründenden Direktbanktochter wurde schnell Abstand genommen. Kunden und Mitglieder sollen jeden Kanal ihrer Wahl nutzen können. Sie müssen in jedem Kanal erkannt werden, um Zugriff auf sämtliche wesentliche Informationen zu erhalten. Es kommt darauf an, dabei über immer mehr Services und Produkte in der gesamten Breite der Vertriebswege verfügen zu können. Nur wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, entsteht für den Kunden ein echtes Multikanal-Erlebnis.

Dabei verfolgt die Neuausrichtung eindeutig definierte Ziele: Kundenbindung durch Kundenzufriedenheit, Gewinnung kaufkräftiger neuer Zielgruppen, Kostenoptimierung und Vertriebssteigerung. Die strukturellen Voraussetzungen zur Umsetzung der Strategie sind indes bereits vorhanden. Denn den Kunden der Volksbank Mittelhessen steht ein ganzes Paket möglicher Kontaktwege zur Verfügung: die Filiale, das Telefon, das Internet (sprich die öffentliche Homepage), das E-Banking, die SB-Geräte, die Smartphone-App oder der Live-Chat auf der Homepage. Via Social Media, dem jüngsten Kanal, ist ebenfalls ein intensiver Dialog zwischen den Kunden und der Bank möglich. So betreibt die Volksbank Mittelhessen einen eigenen Twitter-Kanal sowie zwei Unternehmensblogs und ist auf Xing, Google+ sowie YouTube aktiv. Auf eine Facebook-Präsenz verzichten wir bewusst, da uns dieses Medium deutlich zu "privat" erscheint.

Kunden- oder filialzentrierter Ansatz

Bei der Nutzung von mehr als einem Vertriebskanal ist festzulegen, in welchem Verhältnis Kanäle zueinander stehen. Zwei grundlegende Modelle, die jeweils für sich genommen auch in ihrer Auswirkung auf die kulturelle Dimension äußerst divergieren, stehen zur Wahl: der filial- oder der kundenzentrierte Ansatz. Im Kern geht es nicht nur um die Beantwortung der Frage, ob die Kanäle konkurrieren oder kooperieren sollen. Vielmehr erfolgt eine konkrete Rollendefinition im Sinne einer Aufgabenzuweisung. Steht ein Kanal zum Beispiel für den reinen Produktvertrieb zur Verfügung oder ist viel leicht technisch "nur" ein Kundenservice möglich? Außerdem wird über die Zurechnung von Kosten und Erträgen entschieden. Beim filialzentrierten Multikanal-Management bleibt die lokale, persönliche Präsenz weiter dominierend. Alle Anstrengungen gelten der Lenkung des Kunden in die Filiale. Weitere Kanäle werden flankierend eingesetzt, um die lokalen Geschäftsstellen beispielsweise in Sachen Kontaktaufnahme und Terminvereinbarungen zu unterstützen. Beim kundenzentrierten Multikanal-Management stehen alle betriebenen Kanäle in einem gleichberechtigten, kooperativen Verhältnis zueinander. Denn Mittelpunkt aller Überlegungen ist hier allein der Kunde und seine individuellen Präferenzen.

Entlang der gesamten Wertschöpfungskette steht es dem Kunden jederzeit frei, welchen Kanal er für den jeweils anstehend Prozessschritt wählt. Denn im Idealfall liegen sämtliche Informationen zum Kunden und zum gesamten oder zum begonnenen Prozess zu jeder Zeit in jedem Kanal vor. Dies kommt nach Meinung des Autors am ehesten dem realen Kundenverhalten entgegen. Der Kunde verschwendet bei der Wahl seines präferierten Kanals keinen Gedanken an denselben und dessen Möglichkeiten. Er wählt nicht bewusst, sondern trifft die Entscheidung aus dem Bauch heraus und aufgrund der in seiner individuellen Situation zur Verfügung stehenden Möglichkeiten. Das beschriebene Multikanal-Erlebnis setzt eine größtmögliche Vernetzung der verschiedenen Kanäle voraus. Denn nur dann ist ein problemloser Wechsel zwischen den Kanälen für den Kunden überhaupt erst möglich. Außerdem sind dafür die Zustimmung der Mitarbeiter, eine möglichst reibungsfreie Zusammenarbeit der verschiedenen Organisationseinheiten und entsprechende Zielsysteme notwendig.

 

Die Vertriebswege - in der Abbildung sind beispielhaft Filiale, Internet und Telefon aufgeführt- stehen teilweise noch unverknüpft nebeneinander. Daher gilt es, vorhandene Vertriebswege zu optimieren, neue zu integrieren und schließlich alle Kanäle sinnvoll miteinander zu kombinieren. Multikanal steht also für den integrierten, kanalübergreifenden Kontakt zwischen Bank beziehungsweise Berater und Kunde, hier anschaulich erklärt mit einer so genannten Customer-Touchpoint-Matrix (siehe Abbildung auf dieser Seite).

Testlauf Multi-Rubbellos-Gewinnspiel

Der perfekt vernetzte Einsatz aller Kommunikations- und Transaktionswege inklusive der Filiale wird erst in naher Zukunft Realität sein. Dennoch hat die Volksbank Mittelhessen einen Weg gefunden, um sämtliche bereits heute verfügbaren Vertriebswege für den Kunden erlebbar zu machen. Sozusagen als Testlauf für die reale Verknüpfung aller Kanäle sollte das bestehende Angebot im Rahmen einer Kampagne einer breiten Kundenbasis bekannt gemacht werden. In Zusammenarbeit mit einer regionalen Agentur wurde ein Gewinnspiel entwickelt, dessen Konzept zwei Besonderheiten vereinte: die beliebte Rubbellos-Mechanik (analog und digital) und die Tatsache, dass beinahe alle Kanäle integrierbar waren.

4.100 Preise - von der Traumreise bis zum neuen iPad – wurden ausgeschrieben. Die Spielregeln waren einfach: Jeden Tag gab es pro Kanal -den Live-Chat ausgenommen - zwei Rubbellose. Ob Mitglied, Kunde oder Nichtkunde, jeder konnte mitmachen und maximal 14 Lose pro Tag erhalten. Unter jedem Rubbelfeld befand sich entweder ein Symbol für einen der acht Kanäle oder ein Sofortgewinn. Ziel war es, acht Symbolpaare zu sammeln, für jeden Kanal zwei gleiche Lose. Die freigerubbelten Lose ließen sich ganz einfach per Los-Code über ein kostenloses Los-Konto auf der Homepage der Genossenschaftsbank registrieren. Ab dem ersten registrierten Paar war bereits ein Gewinn möglich. Mit acht Paaren hatten die Teilnehmer die achtfache und damit maximale Chance auf einen der vielen Preise. Zudem versprach die Bank bei voller Paarzahl zwei Kinogutscheine als Bonusgeschenk.

Immenser Teilnehmerandrang

Innerhalb von sieben Wochen entschieden sich 12.486 Menschen für die Teilnahme, eine beachtliche Zahl gemessen an vergleichbaren Kampagnenerfolgen. Über den gesamten Aktionszeitraum hinweg wurden pro Tag fast 300 Loskonten eröffnet. Rund ein Drittel der Teilnehmer waren Nichtkunden, die im Zuge der Kommunikationsmaßnahmen auf die Kreditgenossenschaft und die Multi-Rubbellos-Aktion aufmerksam wurden. 377.436 Lose wurden bei der Bank eingereicht, das macht etwa 30 Lose pro Teilnehmer. Mehr als 60 Prozent der Spieler sammelten alle Lospaare und konnten damit ein komplettes Loskonto vorweisen. Als Ergebnis der Auswertung der Personendaten der Teilnehmer verbinden 4.034 potenzielle Kunden mit der Volksbank Mittelhessen positive Eindrücke, 7.531 Kunden haben die Bank von einer neuen, modernen Seite kennen gelernt. Im Schnitt dauerte es etwa ein bis zwei Wochen, bis ein Teilnehmer seine Lospaare vervollständigt hatte. Das heißt zwei Wochen, in denen starke Aufmerksamkeit und mehrere positive Kontakterlebnisse generiert wurden. Unmittelbare Auswirkungen zeigten sich in einer signifikanten Erhöhung der Abschlussquote im Onlinebanking. Heute entspricht das Volumen der Abschlüsse in den im Onlinebanking angebotenen Produkten beinahe dem eines ganzen Regionalmarkts. Gleichzeitig verzeichnete die Bank einige erfreuliche Nebeneffekte, wie zum Beispiel die Verdopplung der durchschnittlichen Verweildauer auf der Homepage des Instituts oder auch die deutliche Ausweitung der Follower-Zahl auf Twitter.

Schritt für Schritt zur kundenzentrierten Multikanal-Bank

Im Jahr 2013 hat die Volksbank Mittelhessen begonnen, den kulturellen und technischen Wandel des Instituts im Zuge der neuen Ausrichtung voranzutreiben. Die Erfahrungen aus der vergangenen Kampagne, insbesondere die innerbetrieblichen prozessualen Herausforderungen betreffend, haben wertvolle Ansatzpunkte für die weitere Arbeit geliefert. Die perfekte Vernetzung aller Kanäle ist eine Mammutaufgabe, die alle Bereiche der Bank tangiert. Aber genau dies wird über den Erfolg oder Misserfolg des Angebots entscheiden. Die Erkenntnisse und Empfehlungen aus dem BVR-Projekt .,Kunden-Fokus 2015" werden in der Bank konsequent und nachhaltig integriert. Dem Kunden ist es am Ende gleich, welche Prozesse im Hintergrund organisiert sein wollen, damit sein Wunsch optimal und in der ihm genehmen Art und Weise erfüllt wird. Gleichzeitig wird er Unzulänglichkeiten und Fehler schnell erkennen und streng bewerten. Daher gilt es in erster Linie, die Multikanal-Fähigkeit aller Teile der Bank herzustellen und unter Stressbedingungen penibel zu testen. Die Akteure des Instituts sind optimistisch, dass die Volksbank Mittelhessen mit einer kundenzentrierten Multikanal-Strategie bestens für die kommenden Herausforderungen gerüstet ist und ihre hervorragende Marktposition dauerhaft behaupten kann.

Quelle: BankInformation - Das Fachmagazin der Volksbanken Raiffeisenbanken, 07/14